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21. Dezember 2021

08 Mobbing? – Nicht in unserer Schule!

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8.2 Risiko- und Schutzfaktoren

Wie im Kapitel 8.1 erwähnt, ist Mobbing nicht auf eine einfache Ursache-Wirkungskette zurückzuführen. Bestimmte Faktoren erhöhen aber die Wahrscheinlichkeit, dass in einer Klasse oder Schule Mobbing entsteht. Ebenso gibt es Faktoren, die Mobbing vorbeugen.

8.2.1 Risikofaktoren für Mobbing

Die Beweggründe und Ursachen für Mobbing in der Schule sind vielschichtig. Untersuchungen von Kasper [1] haben ergeben, dass unterschiedliche Faktoren zur Entstehung von Mobbing führen. Dabei ist zu bedenken, dass es kein typisches, einheitliches Profil von Schülerinnen und Schülern gibt, die gemobbt werden oder die mobben.

Bestimmte Merkmale einzelner Personen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, in Mobbingprozesse involviert zu werden. Obschon es solche personenbezogenen Risikofaktoren gibt, ist es besonders wichtig, sich vor Augen zu halten, dass diese nicht ausschlaggebend für eine Mobbingsituation sind. Sie erhöhen nur das Risiko, gemobbt zu werden (vgl. das MindMatters-Unterrichtsmodul «Mobbing? Nicht in unserer Schule!»). Pauschal davon auszugehen, dass Gemobbte geringere soziale Kompetenzen aufweisen und ihre Situation dadurch «selbst verschulden», ist nicht nur zu kurz gegriffen, sondern schlichtweg falsch [2].

Ein konkretes Beispiel in Bezug auf risikoerhöhende Faktoren kann anhand von «Schüchternheit» erläutert werden. Schüchterne Kinder/Jugendliche finden von sich aus nicht leicht den Anschluss an eine Peergroup. Schüchternheit ist aber nicht gleichzusetzen mit sozialem Rückzug. Dieser ist meist nicht selbst gewählt und kommt häufig erst durch den Ausschluss aus der Peergroup zustande. Interessant dabei ist, dass gerade beste Freund:innen schüchterne Kinder/Jugendliche vor Mobbing schützen können. Ziehen sich schüchterne Schüler:innen jedoch zurück, kann dies das Risiko für Mobbing erhöhen [3]. Vergleichen Sie hierzu auch das MindMatters-Vertiefungsmodul «Freundinnen/Freunde finden, behalten und dazugehören».

Risikofaktoren sind auch bei den Mobbenden zu verorten. Sie haben oft eine problematische persönliche Haltung, die folgende Merkmale umfassen kann:

  • Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Neid,
  • Phobie gegen LGBT+,
  • Ausüben von Macht oder Machtmissbrauch,
  • Suche nach Sündenböcken bei eigenem Versagen (Statuserhöhung innerhalb der Gruppe),
  • Neigung zum Missbrauch eigener Macht/Stärke,
  • fühlen sich übertrieben provoziert durch Gemobbte,
  • Langeweile, Spass, Rache, Frustration sowie
  • eigene Mobbingerfahrungen.

Darüber hinaus kann Mobbing in Schulen aus einem diskriminierenden ideologischen Hintergrund entstehen. Vor allem lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, transsexuelle sowie intersexuelle (LGBT+) Kinder/Jugendliche sind von Diskriminierung betroffen [4] (vgl. Kapitel 7.4). Schüler:innen mit Migrationshintergrund werden häufig wegen ihrer Sprache, ihres Aussehens oder ihrer Herkunft gemobbt [5] (vgl. Kapitel 7.5). Nicht selten hat Mobbing auch eine Gender-Dimension. In diesem Fall beziehen sich Kommentare und Abwertungen auf das Geschlecht der Person und ihr Verhalten, und es werden dabei unterschiedliche Wörter (Rollenstereotype) verwendet (Schlampe, Weichei etc.). Auch starre Rollenzuschreibungen (Sündenbock, Klassenclown etc.) in Klassen durch Lehrpersonen oder Mitschüler:innen fördern Mobbing.

Neben personenbezogenen und sozialen Faktoren können auch strukturelle Voraussetzungen Mobbing ermöglichen. Dazu gehören die folgenden [6]:

  • Das soziale Klassenklima/die Schulkultur ist geprägt von Misstrauen, Auseinandersetzungen und Machtkämpfen.
  • Es fehlen klare Klassen- und Schulhausregeln für einen respektvollen und wertschätzenden Umgang untereinander und/oder diese Regeln können nicht konsequent durchgesetzt werden.
  • Auf Konflikte wird mit Schuldzuweisung reagiert, statt lösungsorientiert zu handeln.
  • Die Rollen der Schulakteurinnen und -akteuren (Schulleitung, Lehrperson, Schulsozialarbeitende, weitere Akteurinnen/Akteure sind nicht deutlich genug geklärt, wodurch grosse Unsicherheit entsteht.
  • Mobbende und Gemobbte werden sozial und emotional nicht unterstützt.
  • Lehrpersonen sehen ihre Aufgabe in der Vermittlung von Wissen und der Leistungsbeurteilung, wenden nur geringe Zeit für die Beziehungsgestaltung sowie die Schaffung eines protektiven Klassenklimas auf und vernachlässigen die überfachlichen Kompetenzen (vgl. auch Kapitel 3.5 bis Kapitel 3.7). Eine starke Leistungsorientierung mit mehrheitlichem Fokus auf fachliche Kompetenzen erhöht den Leistungsdruck, das Konkurrenzdenken und fördert Konflikte sowie das Risiko von Mobbing.
  • Die monotone Ausgestaltung des Unterrichts und eine starre Organisationsstruktur des Lernens (Stundenorientierung, starke zeitliche Normierung etc.) wie auch mangelnde Transparenz wirken ebenfalls als verstärkende Risikofaktoren.

Diversität und Mobbing

Inwieweit sich ein Mensch von einem oder mehreren anderen unterscheidet, ist von diversen Faktoren abhängig. Kapitel 7 zu Diversität und Eingebundenheit geht auf die fünf Aspekte Behinderungen, LGBT+ , Migration, Körperbild und Young Carers auch im Zusammenhang mit Mobbing ein. Alle Aspekte können dazu führen, dass sich jemand als «anders» wahrnimmt oder von anderen nicht gleichwertig wahrgenommen und behandelt wird.

8.2.2 Schutzfaktoren gegen Mobbing

Es gibt einige Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit von Mobbing verringern können. Eine zentrale Rolle spielt die Peergroup bzw. die Klasse selbst. Positionieren sich die Schüler:innen bereits bei ersten Attacken oder Anzeichen eindeutig gegen Mobbinghandlungen, kann Mobbing vorzeitig verhindert werden. Dies erreicht man durch die Förderung von sozial-emotionalen Kompetenzen, die Sensibilisierung für Mobbinganzeichen (Früherkennung und Frühintervention) sowie Zivilcourage. Dabei haben Rahmenbedingungen (Haltung, Regeln), die durch die Schulleitung, Lehrpersonen sowie weitere Schulakteurinnen und -akteure für die Klassen und die Schule definiert werden, eine wichtige Bedeutung [7].

Ausführliche Informationen zu Schulklima und Schulkultur finden Sie im Kapitel 3, zu Früherkennung & Frühintervention im Kapitel 6, zu Diversität und Eingebundenheit im Kapitel 7.

Empathie, Mitgefühl sowie entsprechende Reaktionen und Handlungen entfalten eine starke präventive Wirkung und können Mobbing stoppen, bevor es überhaupt beginnt. Mitgefühl ist jedoch nicht bei allen Personen gleich ausgeprägt. Besonders die Mobbenden weisen häufig ein geringeres Mass an Mitgefühl auf und orientieren sich tendenziell am eigenen Mehrwert. Wird eine solche Haltung in einer Peergroup von empathischen Mitschüler:innen jedoch respektvoll zurückgewiesen, hindert dies das Entstehen von Mobbing. Mobbende werden für ihr Verhalten nicht belohnt, sondern erhalten die Rückmeldung, dass dieses nicht erwünscht ist. Zivilcourage-Training, Empathiefähigkeit und Perspektivenwechsel stellen somit wichtige Faktoren dar, um Mobbing erst gar nicht entstehen zu lassen [8].

Die Schulleitung, Lehrpersonen und weitere Schulakteurinnen und -akteure müssen abwertende, diskriminierende und verletzende Handlungen entschieden ablehnen. Ihnen kommt eine besondere Vorbildfunktion zu. Sie schaffen ein protektives Schulklima, in dem sich alle Schulmitglieder wertgeschätzt, respektiert und sicher fühlen (vgl. Kapitel 3.1). Es bedarf einer klaren und transparenten Positionierung gegenüber schädigenden Handlungsweisen sowie verbindlicher Grenzen bzw. Regeln, die für alle Schulmitglieder gültig sind. Dabei versuchen die Schulakteurinnen und -akteure den Respekt und das Vertrauensverhältnis aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die Nulltoleranz gegenüber Mobbing zum Ausdruck zu bringen [9].

Beziehungsgestaltung, die förderliche, konstruktive und tragfähige Beziehungen in den Peergroups, den Klassen und der Gesamtschule ermöglicht, ist eine zentrale pädagogische Aufgabe der Schulakteurinnen und akteure. Sie geht einher mit dem Aufbau eines Klimas des Vertrauens, des Respekt und des Wohlfühlens, das unabdingbar ist, um Mobbing zu verhindern. Bereits weiter oben wurde die Wichtigkeit der Peergroup/Klasse thematisiert. Vor allem bei der Mobbingprävention spielt die Positionierung und Einstellung der einzelnen Schüler:innen in der Peergroup eine zentrale Rolle. Wird Aggression nicht toleriert, reduziert dies die Eskalationswahrscheinlichkeit deutlich. Sprechen sich Schüler:innen ganz klar gegen verletzende, abwertende und diskriminierende Handlungen aus und zeigen Zivilcourage, orientieren sich auch andere Schüler:innen eher an diesem Verhalten. Somit hat Mobbing keine Chance, denn Mobbing kann nur als Gruppenphänomen existieren.

Die Verantwortung, Heterogenität und Diversität einer Gemeinschaft zuzulassen und anzuerkennen, Merkmale und Eigenschaften von Personen nicht zu missbrauchen, ein protektives Schulklima zu schaffen, gute Beziehungen zu gestalten sowie Mobbingprozesse frühzeitig zu erkennen und zu verhindern, liegt bei den Schulakteurinnen und -akteuren. Durch gezielte Schulentwicklungsprozesse kann ein solcher struktureller Rahmen geschaffen werden, der dann überhaupt ermöglicht, dass Schüler:innen ihrerseits der Entstehung von Mobbing innerhalb der Peergroup/der Klasse effektiv entgegenwirken können. Die Basis für diesen Entwicklungsprozess ist eine Haltungsdiskussion über Verantwortung und Verbindlichkeit.

1          Kasper (2010)
2          Alsaker (2017)
3          ebd.
4          Wachs (2016)
5          Strohmeier, Atria & Spiel (2005)
6          Alsaker (2017); Kolodej (2008); Nussbaumer (2014); Schubarth (2013)
7          Alsaker (2017)
8          ebd.
9          ebd.